Laufbericht vom Nacht-Halbmarathon im schweizerischen Biel
„Irgendwann musst du nach Biel!“ lautet der Titel eines in der Läuferszene bekannten Buches.
Biel ist Kult-Laufstadt, hier, im Berner Oberland finden seit 60 (!) Jahren die „Bieler-Lauftage“ statt. Das Besondere daran: die Startzeiten und die Streckenlängen.
Ab 22:00 Uhr begeben sich nacheinander die Erlebnisläufer (13,6 km), die Halbmarathonläufer (21,1 km), die Ultamarathonläufer (56 km) und schließlich die 100-km-Läufer auf die Strecke. Zielschluss für die Letzteren: der nächste Abend, 19:00 Uhr!
Wenn nicht jetzt, wann dann, habe ich mir gesagt und mich zum Nacht-Halbmarathon angemeldet. Was kann dabei schon schief gehen ?
Im Streckenprofil ist eine offensichtlich unangenehme Steigung etwa bei Kilometer 10 zu erkennen, ansonsten, na ja, machbar.
Und die Startzeit? Reizvoll, laufen statt schlafen hatte ich noch nicht, ich bin gespannt, wie mein Körper darauf reagiert!
Die Anreise in die Schweiz klappt dieses mal reibungslos: Flug Düsseldorf-Basel, ab der Schweizer Grenze ist in der Startgebühr ein Ticket für Hin- und Rückreise per Bahn nach Biel enthalten.
Am Lauftag, Freitag, dem 08. Juni morgens um 03:30 aufgestanden, bin ich jetzt um 10:30 Uhr in meinem Hotel angekommen. Nun heißt’s ausruhen!
21:30 : spätestens Kleiderbeutel abgeben!
22:00 : Start der „Heroes“, der Wahnsinnigen, die sich auf die 100-Kilometer-Strecke wagen
22:30 : Start für mich und etwa 500 weitere Läufer – schaffe ich es, mal wieder unter der Zwei-Stunden-Marke zu bleiben?
Alles beginnt sehr gut, beste Stimmung, es regnet nicht mehr.
Die ersten beiden Runden gehen durch die Stadt, schöne Häuser, begeisterte Zuschauer und die blühenden Linden betören in dieser feuchten Nacht mit ihrem Duft.
Die Strecke hier ist gut beleuchtet, dennoch tragen manche Läufer Stirnlampen. Ich habe darauf verzichtet, die Strecke wird hell genug sein, hat man mir gesagt.
Zunächst kann ich trotz erstaunlich welliger Strecke meine Zeit von unter 6 Minuten gut einhalten, es läuft! Dann eine Brücke, sanfte Steigung, kleinere Schritte, kein Problem! War das schon die unangenehme Steigung, sind wir schon bei Kilometer 10? Nein , … aber jetzt geht’s los:
Vor mir sehe ich plötzlich die Lichter himmelwärts laufen – das ist sie, die angekündigte Steigung, und die hat’s in sich! Sie will überhaupt nicht mehr enden, zieht sich um eine Kurve nach der anderen, viele Mitläufer gehen jetzt, aber ich will sie laufend besiegen, mache schnelle, kleine Schritte und auch meine Atmung wird schneller.
Am Straßenrand jetzt mehr Zuschauer, die applaudieren und anfeuern, sie wissen offensichtlich, wie hart das hier ist!
Und die Dunkelheit hat jetzt erste Auswirkungen! Ich laufe gewohnt ohne meine Brille, im Hellen klappt das ganz gut, aber jetzt hier ohne Brille, aber dunkel … das ist eine Nummer schwieriger!
Jetzt, wo kein Lampenläufer mehr in meiner Nähe ist, sehe ich kaum noch die Straße, Zuschauer sind auch keine mehr da, die schlafen in den tollen Villen am Berg, rechts und links…. und immer noch geht’s bergauf!
Inzwischen erreichen wir nach meiner Uhr Kilometer 13 – und meine Zielzeit von zwei Stunden entschwindet! Und auch, als jetzt nach dem Aufwärts endlich das Abwärts kommt, ist mir klar, dass ich unter den gegebenen Verhältnissen die verlorene Zeit beim Abwärtslaufen nicht wieder einholen kann, im Gegenteil! Das regennasse Kopfsteinpflaster und das jetzt heftige Gefälle sorgen dafür, dass alle ihr Tempo und ihre länger werdenden Schritte stark kontrollieren müssen, um nicht zu stürzen.
Endlich unten angekommen, verlassen wir sehr bald die befestigten Straßen und laufen auf einer Schotterpiste zwischen zwei Feldern weiter. Rechts und links jetzt dunkle Bergschatten, absolute Stille, hier und da ein tanzendes Licht. Meine müde werdenden Füße schieben kleine Gesteinsbröckchen vor sich her.
Ich bin jetzt ziemlich allein mit mir in der Dunkelheit der Schweizer Berge, nachts, kurz nach Mitternacht – was für ein außergewöhnlicher Lauf, was für ein Gefühl!
Das muss er sein, der Mythos von Biel! Wie mag es denen gehen, die jetzt noch die komplette Nacht und mindestens einen halben Tag, mehr als 80 Kilometer, vor sich haben?!
Meine Uhr sagt mir, dass ich gleich Kilometer 16 erreiche. Manchmal taucht vor mir plötzlich ein noch langsamerer Läufer auf und
ich muss ausweichen. Nicht alle tragen so leuchtende Shirts wie ich – NiersRunners-Neon-Gelb! Aber ich mache mir keine Sorgen: was kann schon passieren, wenn ich mit meinen 8 km/h auf jemanden auflaufe, der nur 7 km/h läuft?
Ich bin froh, als ich bei Kilometer 19 den letzten Verpflegungsposten erreiche: Licht, Wasser, Cola !!! Mit neuer Energie geht’s auf die letzten beiden Kilometer. Kurz vor dem Ziel laufen wir über eine wunderschöne, überdachte alte Holzbrücke, dann nach einem weiteren Kilometer auf dem hübschen Marktplatz in Aarberg bin ich im Ziel.
Meine Zeit: 2:11:32 .
Geschafft !
Ein wunderschön-verrückter Lauf und wie immer ein wunderbares Gefühl, angekommen zu sein!